Beratungen zum Thema Suizidgedanken haben seit dem Lockdown 2020 um 40 Prozent zugenommen, berichtet Pro Juventute. 55 Prozent der 16- bis 24-Jährigen gaben an, dass die Pandemie sich negativ auf ihre Stimmungslage auswirke. Zusätzlich leiden viele Jugendliche unter manifesten Zukunftsängsten und depressiven Verstimmungen. Es sind erschreckende Ergebnisse, die Pro Juventute im Corona-Report-Update von Ende November publiziert. Da die Fallzahlen in den Notfallambulanzen der Kinder- und Jugendpsychiatrie in den weiteren Pandemiewellen deutlich gestiegen sind, könne es vielerorts zu psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungsengpässen kommen, schreibt Pro Juventute im Corona-Report. Dies könne die Wartezeit für eine ambulante Behandlung verlängern.
Angespannte Lage bei den Therapie-Angeboten
Das spürt auch die Kinder- und Jugendpsychiatrie Triaplus in Lachen. Der Leitender Psychologe, Walter Schoch, spricht von einer angespannten Lage: «Leider werden wir den Ansprüchen der Jugendlichen, die therapeutische Hilfe benötigen, nur noch teilweise gerecht.» Bei stationären Behandlungsangeboten sei die Wartezeit ebenfalls sehr lang und die Aufnahme meist nur als Krisenintervention auf wenige Tage begrenzt. Es gäbe immer öfter dringliche Anmeldungen von Jugendlichen mit Suizidgedanken, die noch am selben Tag einen Termin erhalten müssen, da grosser Handlungsbedarf besteht. Oft müsse man dabei auch längerfristige Begleitungen in Betracht ziehen, da viele Probleme nicht in einigen wenigen Therapiesitzungen behandelt werden können. Ein teilstationäres Behandlungsangebot gibt es im Kanton Schwyz nicht», stellt Walter Schoch klar. Dies ist ein Problem, für welches in anderen Kanton bereits viel getan wurde. «Im Kanton Zürich wurde beispielsweise kürzlich eine Menge Geld in die Kinder- und Jugendpsychiatrie investiert», sagt der Psychologe. «Klar ist der Kanton Schwyz um einiges kleiner, jedoch könnte man auch schon mit einem kleinen Geldbetrag viel erreichen.»
Ein vulnerabler Lebensabschnitt
Die pandemiebedingten Einschränkungen treffen die Lebenswelten von Jugendlichen besonders stark. Walter Schoch erklärt, dass das vor allem daran liege, dass sich Jugendliche intensiv mit der eigenen Identität auseinandersetzen. «Das Jugendalter ist eine Zeit des Umbruchs.» Durch die Corona- Massnahmen würden viele wichtigen Ressourcen der Jugendlichen wegfallen. Kummer und Sorgen könne man nicht mehr entkommen und Belastungen würden ständig zunehmen. Dadurch werde ein wichtiger Entwicklungsschritt im Jugendalter unterbrochen. «Anstatt sich nach aussen wenden zu können, selbstständiger zu werden und aus dem Familienkontext herauszubrechen, geschieht das Gegenteil. Man wird in alte Muster zurückgeworfen», argumentiert der Psychologe. Jugendliche leiden stärker, weil sie in einem vulnerablen Lebensabschnitt von der Pandemie getroffen werden.
Die meisten Jugendlichen, die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Lachen in Therapie sind, leiden unter grossen Zukunftsängsten oder einer depressiven Symptomatik. «Viele haben grosse Selbstzweifel, zeigen eine Hoffnungslosigkeit, selbstverletzendes Verhalten oder haben Suizidgedanken», so Walter Schoch. Zusätzlich gäbe es vermehrt Anmeldungen zum Thema Essstörungen.
Vorbelastete Jugendliche leiden
Des Weiteren zeigt das Update des Corona- Reports von Pro Juventute auf, dass nicht alle Jugendlichen gleich von den pandemiebedingten Auswirkungen betroffen sind. Dies sei abhängig von den Lebensumständen und den bevorstehenden Belastungen. Wer nicht über Ressourcen zur Krisenbewältigung verfügt und bereits belastet ist, trifft es also stärker.
Schoch hat den Eindruck, dass eine weitere Polarisierung stattgefunden hat. «Jugendliche, die vor der Pandemie mit beiden Beinen fest im Leben standen, ein gutes Selbstvertrauen hatten und über ein sicheres Netzwerk verfügten, haben mit den zusätzlichen Herausforderungen kaum Probleme.» Im Vergleich dazu sei die Situation der vorbelasteten Jugendlichen extrem schwierig. Da sie schon vor der Pandemie an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit gestossen sind und herausgefordert wurden, leiden sie stärker unter den Zusatzbelastungen. «Wenn man den Kopf sowieso schon nur knapp über Wasser hält, taucht man unter, sobald eine grössere Welle kommt», sagt Psychologe Schoch. Die Familiensituation habe zusätzlich einen grossen Einfluss auf die Jugendlichen, da Ängste und Sorgen der Eltern auch ihre Kinder mitziehen würden.
Öffentlichkeit in der Pflicht
Abschliessend erklärt Schoch, dass durch die Corona-Pandemie grosse gesamt-gesellschaftliche Belastungen ausgelöst wurden, welche sich bei den Familien und Jugendlichen speziell gravierend auswirkten. «Die Kinder- und Jugendpsychiatrie kann die Jugendlichen unterstützen, benötigt dafür aber auch genügend Mittel», so Walter Schoch. Es brauche insbesondere auch auf gesellschaftlicher Ebene breitgefächerte Unterstützung für die Familien, damit die Belastungen der Familiensysteme reduziert werden können. «Dies sind letztendlich politische Entscheide.» Auch Pro Juventute schreibt im Corona- Report, dass die öffentliche Hand – Bund, Kantone und Gemeinden – in der Verantwortung stünden, die Bedürfnisse von Jugendlichen zu beachten, um die psychischen, sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen der Coronakrise abzufedern. Deshalb sollen sie auch ein Recht auf Partizipation haben, wenn es um gesellschaftliche Entscheide geht, die nach der Coronazeit noch lange relevant sein werden für sie.