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Schübelbach
24.04.2021

Zügel selber in die Hand genommen

Sonja Schwiter ist heute vollamtliche Reitlehrerin.
Sonja Schwiter ist heute vollamtliche Reitlehrerin. Bild: hp
Sonja Schwyter hat nach einem Schicksalsschlag ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht und gibt heute Reitstunden in Schübelbach.

Mit acht Jahren ging für Sonja Diethelm aus Altendorf ein Mädchentraum in Erfüllung: Endlich durfte sie zum ersten Mal in ihrem Leben auf einem Pferd sitzen. «Das Brauereipferd von Röbi Hegner aus Siebnen war riesig, meine Beine reichten knapp über den  Sattel.» Von da an waren Pferde ihre grosse Leidenschaft. «Später fragte ich bei Bauernhöfen mit Pferden nach, ob ich zum Pflegen und Reiten vorbeikommen dürfe. Während meiner Oberstufen-Zeit kümmerte ich mich insgesamt bei sechs Bauern um ihre Pferde.»

Mit einem besonders schwierigen Pferd suchte die junge Frau Rat und Hilfe bei einem bekannten Pferdeflüsterer im nahen Deutschland. «Weil ich kein Geld hatte, arbeitete ich als Gegenleistung für seine Dienste während meiner Sommerferien drei Jahre auf seinem Gestüt. Ich lernte sehr viel von seiner Art, mit Pferden umzugehen. In der Schweiz absolvierte ich das Reitbrevet in Dressur, Springen und Reiten im öffentlichen Raum.»

Ein schwerer Schicksalsschlag

Ihre Mutter war zwar froh, dass die Tochter die Freizeit mit Pferden verbrachte. Trotzdem überredete sie das junge Mädchen zu einer vernünftigen Ausbildung als Detailhandelsfachfrau. Schon mit 22 Jahren führte die ausgelernte Verkäuferin selbstständig eine Coopfiliale. Sie heiratete und nahm den Namen ihres Mannes an. Tochter Lisa kam 2016 zur Welt, Sohn Leo ein Jahr später. Ihr Mann war Hausmann und kümmerte sich um die Kinder. Für Pferde hatte Sonja Schwyter nun keine Zeit mehr.

Sie hatte sich inzwischen zur Geschäftsführerin beim Coop im Obersee Center Lachen heraufgearbeitet. Aber das Schicksal wollte es anders, das gewohnte Leben änderte sich von einer Sekunde auf die andere dramatisch: Ihr Ehemann nahm sich das Leben, die junge Mutter stand plötzlich alleine da mit ihren Kindern, die zu diesem Zeitpunkt ein- und zweijährig waren. «Der unerwartete Tod war ein riesiger Schock. Wie sollte es jetzt weitergehen? Ich konnte doch nicht den ganzen Tag arbeiten gehen und meine Kinder alleine lassen.»

 

Bild: hp

Neuanfang mit Pferden

In dieser Zeit lernte Sonja Schwyter ihren neuen Lebenspartner Beat Ruoss kennen. Der gelernte Metzger und Landwirt ist auf dem Platzhof in Schübelbach aufgewachsen. Der Landwirtschaftsbetrieb wird heute von seinem Bruder Martin bewirtschaftet. Im Stall werden auch Pferdeboxen für Pensionspferde angeboten. «Als ich bei Beat einzog, entschieden wir uns schon bald für ein eigenes Pferd, auch für unsere Kinder», erzählt Schwyter. Und mit dem ersten Pferd auf dem Hof kamen auch schon bald Anfragen für Reitstunden für Kinder aus dem Quartier. «Ich liebe Kinder und Pferde. Da war für mich bald einmal klar, dass ich als Reitlehrerin beides perfekt kombinieren kann.» Am 1. August 2020 war es soweit: Das Geschäft Stall Ruoss wurde offiziell eröffnet.

Inzwischen hat Schwyter sechs eigene Pferde und Anfang nächstes Jahr werden – wenn alles gut geht – zwei Fohlen den Reiterhof bereichern. Als Reitlehrerin erteilt sie Stunden für Kinder und Erwachsene. «Ich habe schon mehrmals erlebt, dass die Eltern, welche ihre Kinder zu mir bringen, plötzlich selber auch reiten möchten. Viele von ihnen sind früher geritten und entdecken ihre Leidenschaft für Pferde wieder. Bei uns im Vordergrund steht ganz klar der Spass. Wenn meine Reitschüler trainingsorientiert reiten möchten, schicke ich sie weiter zu einem Stall, der das anbietet.»

Im Stall Ruoss darf jedes Kind selber bestimmen, welches Pferd es reiten möchte. Es entscheidet auch selber, ob die Reitstunde auf dem Platz stattfindet oder lieber ein Ausritt in der näheren Umgebung gemacht werden soll. «Manchmal zeichnen meine Reitschülerinnen auch zu Hause einen Parcours auf, den sie auf dem Reitplatz aufstellen möchten. Am Anfang der Stunde frage ich immer nach, was für Wünsche offen sind.» Auch die Anmeldungen sind bei Sonja Schwyter sehr unkompliziert: «Ich habe Schüler, die jede Woche einen fixen Termin haben, aber auch solche, die per WhatsApp am Tag zuvor anfragen, ob noch etwas frei ist.»

Ein Pflegepferd mieten

Sonja Schwyter kennt diese Situation: Ein Mädchen träumt vom eigenen Pferd, die Eltern sind unsicher und fragen sich, wie lange wohl das Kind wirklich Freude daran hat. «Für viele ist ein Mietpferd die ideale Lösung», sagt die Pferdefachfrau. «Wir haben zurzeit neun Mädchen mit ihren Eltern, die bei uns ein Pferd mieten.» Das ausgewählte Pferd wird für einen Tag pro Woche gemietet. An diesem Tag steht es der Familie zur freien Verfügung. Dieses Geschäftsmodell bietet einerseits Abwechslung für das Schulungspferd, anderseits ist es eine gute Möglichkeit, sich intensiv um ein Pferd zu kümmern. 

Das bestätigt auch Susanne Nagel aus Reichenburg, welche jeweils für Dienstag das Islandpony Cookie gemietet hat. «Meine Kinder waren letztes Jahr im Ferienpass beim Stall Ruoss. Danach waren mein Sohn und meine Tochter derart begeistert vom Reiten, und auch mich hat es nach 20 Jahren Reitabstinenz wieder gepackt. Die Möglichkeit, ein Pferd zu mieten, ist einfach ideal für uns. Am Morgen gehe ich alleine mit Cookie ausreiten, nachmittags begleite ich meine Kinder in den Stall, wo sie sich um ‹unser› Pony kümmern dürfen oder Reitstunden nehmen können.»

Noch viele Ideen vorhanden

Die junge Geschäftsfrau Sonja Schwyter hat noch einige Ideen, die sie in nächster Zeit verwirklichen wird. «Auf der Wiese hinter dem Haus werden bald Tipis aufgestellt.» Schon ab den Sommerferien können da Kinder Ferien auf dem Reiterhof verbringen. Auch im Ferienpass wird der Stall Ruoss diesen Sommer zum zweiten Mal mitmachen. «Wir bieten den Kindern ein richtiges Hofleben. Auf dem Bauernhof haben sie die Möglichkeit, auch andere Tiere wie Hasen, Küken, Geissen oder Kühe anzutreffen. Vor allem für Kinder, die sonst keinen Bezug zu Tieren haben, ist das eine wertvolle Erfahrung, welche unser Familienbetrieb bieten kann. «Den Schritt in die Selbstständigkeit habe ich keine Sekunde bereut, das Schicksal hat mich wohl genau dahin geführt, wo ich hingehöre.»

Heidi Peruzzo, Redaktion March24 & Höfe 24